Nicht ausbildungsreif! – eher eine Schuldzuweisung als vorhanden.
Ausbildungsreife – ein umstrittener Begriff beim Übergang Jugendlicher in eine Berufsausbildung
von Martina Krawczyk, Bochum
Das Arbeitspapier „Ausbildungsreife – ein umstrittener Begriff beim Übergang Jugendlicher in eine Berufsausbildung“, verfasst von Prof. Dr. Rolf Dobischat, Dr. Gertrud Kühnlein und Dipl.-Päd. Robert Schurgatz, befasst sich thematisch mit dem Begriff der „Ausbildungsreife“ und dem vermuteten vermeintlichen Leistungsverfall junger Schulabgänger, insbesondere Menschen mit niedrigem formalem Schulabschluss. Es wird davon ausgegangen, dass Jugendliche zunehmend ablehnend und nicht lernbereit sind und sie im Zuge dessen zum Teil für ihr eigenes Scheitern selbst verantwortlich sind.
So stehen dem demographischen Wandel und dem daraus folgenden Fachkräftemangel immer weniger werdende Ausbildungsvertragsabschlüsse, in erster Linie bei Menschen mit Hauptschulabschluss, gegenüber. Auch eine abgeschlossene Ausbildung ist kein Garant für den Wechsel in eine dauerhafte und stabile Beschäftigung. So werden junge Menschen, die sich im Laufe ihrer Ausbildung als „nicht berufsreif“ herausstellen, in einer zweiten „Sortierschleife“ am Ende ihrer Ausbildung ausgesiebt.
Vorwiegend Hauptschüler müssen immer wieder mit dem Problem der mangelnden Anerkennung ihrer erworbenen Lernleistung kämpfen, wenngleich belegt wurde, dass berufsbezogene Praxistage und Berufsbegleiter, die sich speziell auf die Bedürfnisse des einzelnen Menschen richten, einem Großteil der Schüler zu einem Abschluss verholfen haben. Sie stehen den privilegierten Abiturienten gegenüber, die automatisch nach ihrem Abschluss eine Hochschulzugangsberechtigung erlangen. Dennoch erhält nicht jeder einen Ausbildungsplatz, auch wenn der Ausbildungspakt 2004 besagt, dass jedem ein Ausbildungsangebot offeriert werden soll.
Das Konzept der „Ausbildungsreife“ kann nach keinen einheitlichen Kriterien zusammengefasst werden. Es wird lediglich davon ausgegangen, dass Jugendliche drei Voraussetzungen mitbringen müssen um als ausbildungsreif zu gelten. Darunter fallen „elementares Grundwissen in den wichtigsten Lebensbereichen“, „persönliche und soziale Kompetenzen“, sowie „Kenntnis der Berufswelt“. Kritisiert wird, dass die empirischen Evidenzen für die These einer mangelnden „Ausbildungsreife“ zumeist nicht wissenschaftlichen Standards genügen und somit Verlautbarungen seien, die eine bestimmte Bevölkerungsgruppe als defizitär und unterqualifiziert klassifizieren.
Anstatt mehr das betriebliche und gesellschaftliche Bildungsengagement in Schulen und der Agentur für Arbeit zu fördern, wird verstärkt versucht von der Lehrstellenproblematik abzulenken und die Schuld den jungen Menschen selbst zuzuweisen. Dieses Konfliktfeld wird unter Anderem durch Schlagworte wie „nicht ausbildungsfähig“ und durch Diskussionen auf negative Art und Weise in die Öffentlichkeit gebracht und reproduziert im Zuge dessen die soziale Ungleichheit weiter. Es ist somit nicht verwunderlich, dass sich laut einer Studie viele Hauptschüler für chancenlos auf dem Ausbildungsmarkt halten und eine Orientierung auf eine weiterführende Schule einer Ausbildungssuche bevorzugen, zumal es eine „Ausbildungsplatzgarantie“ laut Landesregierung 2011 gar nicht geben kann. Letzen Endes handelt es sich nicht um eine Frage der „Ausbildungsreife“, sondern um die Reife der strukturellen Verfasstheit des Gesellschaftsystems, um eine Integration junger Menschen zu gewährleisten.
Das Arbeitspapier der Autoren, welches als Quelle neben anderen Artikeln aus diesem Blog diente, kann unter http://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_189.pdf abgerufen werden.
©2013 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.
Schreibe einen Kommentar