Azubimangel im Handwerk

Azubimangel im Handwerk<br><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/theorie_120.png"/><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/praxis_120.png"/>

a) Quantitativer Lehrlingsmangel

Wie bei den Arbeitskräften, so sind wir auch bei den Lehrlingen vor die Probleme der Knappheit gestellt worden. Wir sind in das Jahrzehnt eingetreten, in dem sich der verschärfte Geburtenrückgang der Nachkriegszeit, dem erst nach der Machtergreifung Einhalt geboten wurde, in Gestalt Schwachbesetzter Nachwuchsjahrgänge auswirkt. Je weniger Nachwuchs aber vorhanden ist, desto stärker bemühen sich alle Kreise, ihn an sich zu ziehen. Vom Lehrlingsmangel wird nur ein Teil der Handwerksberufe nicht oder wenig betroffen: die Schlosser, Kraftfahrzeughandwerker, Mechaniker – also Berufe, die zu den technischen Neigungen der heutigen Jugend besonders passen. Fast alle anderen Berufe, auch die des Bauhandwerkes, klagen über Nachwuchsmangel. Besonders gilt das für kleine und darum wenig bekannte Handwerkszweige. In den Werkstätten des gestaltenden Handwerks- das gilt z.B. für die Buchbinderbetriebe und Webereien, stellen sich statt der Jungen immer mehr Mädchen als Lehrlingsnachwuchs ein.

b) Qualitativer Lehrlingsmangel und seine Folgen

Vor allem aber haben sich im letzten Jahr in fast allen Berufen und Bezirken die Meldungen darüber gehäuft, dass das Handwerk einen ungeeigneten Nachwuchs erhält. Zu dem quantitativen Lehrlingsmangel kommt ein schlimmerer: ein qualitativer Mangel. Im Handwerk herrscht folgender Eindruck vor: Beamtete und soldatische Berufe finden den stärksten Zuspruch und können sich daher die besten Jungen aussuchen; weiterhin erhält die Industrie, vor allem die Rüstungsindustrie, den meisten guten Nachwuchs; der Rest bleibt für das Handwerk übrig. […] erhält nun das Handwerk viele Lehrlinge, die diesen Anforderungen aus Mangel an natürlicher Begabung nicht gerecht werden können, dann werden eben viele in den Zwischenprüfungen und spätestens in der Gesellenprüfung hängen bleiben. Die Industrie wird dann vom Handwerk weniger voll ausgebildete Gesellen als gescheite Lehrlinge erhalten, während im Handwerk selbst der Mangel an tüchtigen Gesellen weiter zunimmt. Zu der mangelnden Befähigung kommt vielfach eine nicht ausreichende Schulbildung, vor allem im Lesen, Schreiben und Rechnen.

c) Ursachen des besonderen quantitativen und qualitativen Nachwuchsmangels: falsche Vorstellungen vom Handwerk!

Im Handwerk entwickelt sich ein Lehrlingsmangel, der über den durchschnittlichen Lehrlingsmangel in Deutschland hinausgeht. Wenn gerade die gut veranlagten Jugendlichen nicht den Weg zum Handwerk finden, so scheint das Gründe zu haben, die weniger im Handwerk selbst liegen als in den falschen Vorstellungen, die über das Handwerk herrschen. Kein geringerer als Reichswirtschaftsminister Funk hat kürzlich gesagt, man solle sich nicht von den Äußerlichkeiten der Lehrwerkstätten blenden lassen; die beste gewerbliche Ausbildung sei immer noch die hand-werkliche Betriebslehre; dem Handwerk dürfe man nicht den schlechtesten Nachwuchs übrig lassen. Tatsächlich lassen sich viele Jungen und deren Eltern „blenden“. Sie überschätzen die glänzend eingerichteten Lehrwerkstätten mancher Industrieunternehmungen; solche Lehrwerkstätten braucht das Handwerk nicht, da seine Betriebe zum Lernen wie geschaffen sind.

e) Nachwuchswerbung

Um sich den besten Nachwuchs frühzeitig zu sichern, haben industrielle Kreise eine förmliche Nachwuchsförderung mit Vortragsveranstaltungen, Betriebsbesichtigungen und anderen, persönlicheren Methoden entwickelt. Soweit das Handwerk sich bereits Nachwuchs werbend betätigt hat, hat sich gezeigt, dass eine sachgemäße Aufklärungsarbeit sehr wirksam sein kann. Sie ist umso mehr gerechtfertigt und notwendig, als Eltern und Jugend über das Handwerk meist falsche Vorstellungen haben und von den gewaltigen Fortschritten der handwerklichen Ausbildung und den mannigfachen Vorzügen der Handwerkslehre und des Handwerksberufes noch wenig wissen.”

Ich habe ganz vergessen, dass es sich bei dem Text um einen Bericht aus dem Jahrbuch des deutschen Handwerks 1938/39 S. 69 ff handelt. Bis auf einige Worte, die nicht in unsere Zeit passen, hat alles seine Gültigkeit.

Das Jahrbuch beschreibt auch, dass sich ein Rückgang des Nachwuchses im Handwerk auf die Lehrlinge der Industrie auswirkt. „Hat das Handwerk keinen geeigneten Nachwuchs, so stehen der Industrie nicht ausreichend Lehrlinge zur Verfügung“. In dem Jahr 1935 wurde die Handwerkslehre der Industrielehre gleichgestellt. So wurde ab dann eben auch Betrieb und Schule zum Standard im Handwerk. Das gab es in der Industrie bereits 10 Jahre früher.

©2023 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.

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