Individuelle Bildungsberatung auch im Übergang notwendig
Als Bildungsberater und Kompetenzentwickler möchte ich in diesem Beitrag einige Aspekte der Bildungsberatung ansprechen, die auch in den Übergängen eine Rolle spielen (sollten). Individuelle und unabhängige Bildungsberatung ist in Deutschland selten, da sie in der Regel durch die Ratsuchenden selbst finanziert werden muss. Es kann durchaus sein, dass Gruppen mit erhöhtem Bildungsberatungsbedarf die finanziellen Mittel fehlen, um diesen Bedarf adäquat zu decken. Dieser Beitrag soll Hinweise auf die Komplexität des Themas geben und dazu anregen, weitere Beiträge in diesem Kontext zu veröffentlichen.
Bildungsberatung – was ist das?
Bildungsberatung wurde verschiedentlich definiert. Nach Koll ist Bildungsberatung ein „integrativer Ansatz, der im Kontext von Bildung und Lernen verankert ist, ein Beziehungsgeschehen zwischen Menschen oder einer Gruppe darstellt und verschiedene Handlungsformen verbindet“. Andere Definitionen von Bildungsberatung sind zum Beispiel von Heller – „Bildungsberatung ist eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe bei der Verfolgung bestimmter Bildungsziele“ oder Gieseke, der unter Bildungsberatung eine Unterstützung bei der Entscheidungsfindung in Weiterbildungsfragen durch stärker werdende Unübersichtlichkeit verstand. Auch Unterscheidungen nach Beratungsformen- und Feldern wurden getroffen, so zum Beispiel von Schiersmann. Dabei spielt der Unterschied der institutionsbezogenen und der Individuellen Bildungsberatung eine wesentliche Rolle. Beide brauchen sich nicht ausschließen, können es aber (ein Grund kann hier in der abgegrenzten Beratungsleistung einer Institution, zum Beispiel der Agentur für Arbeit, liegen). Im Weiteren lässt sich noch die kompetenzerkennende Bildungsberatung (Individuum) und die entwickelnde Bildungsberatung (Strukturell) unterscheiden. Ein Zuordnen zu Kategorien ist im Blick auf verschiedene Beratungsmöglichkeiten sinnvoll. Hier werden oft Kategorien genutzt, die mit Qualifizierungsart, Menge- und Verwendbarkeit (Gering qualifiziert, Hochqualifiziert) versehen werden. Ebenso gibt es Kategorien, die sich auf den beruflichen Status (Beschäftigt, Arbeitslos) beziehen wie auch die Möglichkeit der Kategorisierung nach Lebensalter, wie bei der Agentur für Arbeit, die Ihre Aktivitäten bis dato in unter und über 25 jährige aufteilt.
Die Vielfalt der Ratsuchenden
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass jeder Mensch ein potentieller Ratsuchender in Sachen „Bildung“ ist. Neben den inhaltlichen Bildungsprozessen (über Lehrpläne), auf die die Bevölkerung nur bedingt Einfluss nehmen kann, macht unter anderem unser komplexes Bildungssystem die Menschen zu Ratsuchenden. So zum Beispiel eine Unzahl von Möglichkeiten an Abschlüssen, die in sich reglementiert auch Wege zu anderen Bildungswegen versperren können, führen häufig zu Orientierungslosigkeit und in Folge zu Unsicherheit. Spätestens in der beruflichen Weiterbildung wird es völlig unüberschaubar und bringt sogar die geübten und professionellen Bildungsberater an ihre Grenzen. Zu den Ratsuchenden gehören zum Beispiel Beschäftigte in Betrieben, deren Inhaber oder Geschäftsführer genauso wie Arbeitssuchende und auch alte Menschen. Zu berücksichtigen sind auch quantitativ umfangreiche Personengruppen, die eigentlich sehr gut qualifiziert sind, aber mit der gleichen psychosozialen Problemstellung wie gering qualifizierte zu kämpfen haben. Hierunter fallen z.B. Migranten oder Berufsrückkehrer/innen (Elternzeiten) und Menschen, die in Deutschland oder im Ausland Ihre Qualifikationen (informell) erworben haben, diese jedoch nicht mit in Deutschland gültigen Zertifikaten versehen lassen können oder konnten (z.B. Studienabbrecher, Seiteneinsteiger, Flüchtlinge). Aber zu den Ratsuchenden gehören, wenn auch selten in diesem Kontext direkt benannt, die Jugendlichen, die sich auf dem Weg in die Berufswelt befinden. Tatsächliche, individuelle Bildungsberatung für Jugendliche ist in Deutschland noch weniger verfügbar als individuelle Bildungsberatung für Erwachsene und Erwerbsfähige/tätige.
Bildungsberatung am Übergang Schule – Beruf
Grundsätzlich verfolgt Bildungsberatung am Übergang von der Schule in die Arbeitswelt das Basisziel, über Ausbildungswege zu informieren (der Begriff Ausbildungsweg bezieht sich auf jeglichen Bildungsweg auf dem Weg in die Arbeitswelt und meint nicht nur die duale Berufsausbildung), bei der Auswahl von Berufen und beruflichen Entwicklungen zu orientieren und die jungen Menschen bei einer individuellen adäquaten Berufswahl zu unterstützen. Üblicherweise richtet sich die Bildungsberatung am Übergang Schule –Beruf an junge Menschen, die sich auf dem Weg in eine berufliche Grundbildung befinden. Anders als zum Beispiel bei Bildungsberatungen zu beruflicher Aufstiegsweiterbildung, die sich an Personen in Erwerbstätigkeit richtet, werden hier Bildungsberater häufig mit jungen Menschen konfrontiert, die noch keine berufliche Orientierung oder auch teilweise keine Erfahrung mit der Auseinandersetzung Ihrer beruflichen Zukunft haben. Die Jugendlichen, die sich mit Ihrer Berufswahl intensiv auseinandersetzen, verfolgen das Ziel, eine auf Ihre Wünsche und Bedürfnisse abgestimmte Bildungsberatung zu erhalten. Diese steht faktisch nur sehr beschränkt zur Verfügung, da die institutionelle Beratungsmotivation, neben der erstrebenswerten Zuwendung zu den Jugendlichen, noch andere Ziele verfolgen. So geht es dann oft nicht wirklich um den Jugendlichen, sondern eher um die Kompensation fehlender Potentiale, die in bestimmten Berufsfeldern erwartet werden. Auch hier ist individuelle und unabhängige Bildungsberatung wünschenswert. Dabei werden an die Berater/innen aber gerade bei den Jugendlichen besondere Anforderungen gestellt. So müssen zusätzlich zu den fachlichen und sozialen Aspekten auch entwicklungspsychologische Gegebenheiten oder Problemlagen mit einbezogen werden.
Die Person des Beraters, der Beraterin
Eigene, bildungsrelevante Aspekte werden von Menschen psychosozial betrachtet. Es sind „empfindliche Felder“, ähnlich wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, eigene Sozialkompetenzen, eigene Moralvorstellungen, sein eigenes geistiges Leistungsvermögen und individuelle Lebenseinstellungen, die selten vom Individuen selbst öffentlich gemacht oder zur Bearbeitung bereit gestellt werden. Ängste vor Fremdbewertungen, wie zum Beispiel dumm sein, nicht klar zu kommen, kein guter Mensch zu sein oder auch das Gefühl, gesellschaftlich ausgegrenzt zu sein, sind hier neben der Sorge, eventuell diese Bewertung durch einen Bildungsberater oder durch eine Institution bestätigt und als Tatsache anzusehen, sicher mit ausschlaggebend für ein reduziertes Maß an Offenheit. Oftmals ist einem Menschen durchaus bewusst, dass z.B. eine Qualifikation fehlt, aber der Umstand zum Erwerb dieser, gedanklich nicht bewältigt werden kann. Der damit einhergehende Veränderungsprozess kann durchaus zu „Ablehnung im Voraus“ gegenüber einer Beratung oder einer Weiterbildung führen. Es lässt sich durch die unterschiedlichen Formen von Bildungsberatung nicht immer eine reale Neutralität und Unabhängigkeit gegenüber Institutionen herstellen, die es erlauben würde, ausschließlich auf die Bedürfnisse und Wünsche der Ratsuchenden einzugehen. Allerdings benennen Rogers und Weinberger bestimmte Elemente, die eine adäquate Grundhaltung des Beraters/in gegenüber den Ratsuchenden kennzeichnen, die auch unter institutionellem Einfluss wichtig und auch möglich sind. Diese Elemente sind Interesse und Wertschätzung, Empathie, Kongruenz, Abgrenzung und Lösungsorientierung. Es handelt sich hier um eine Klientenzentrierte Beratungsform. Die Bildungsberater sollten vom Typ her „Menschenfreund“ sein, eine humanistische Einstellung an den Tag legen und Interesse an der Entwicklung anderer Menschen haben.
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