Nachfolger von Vorgängern verdächtigt, Fachkräfteproblem über mangelnde Ausbildungsreife zu verursachen
Der Fachkräftemangel
Wir brauchen nicht mehr groß drauf eingehen. Wenn man sich einen Überblick verschafft kommt man zu dem Schluss: Es gibt ihn. Zweifelsfrei. Allerdings nur punktuell in bestimmten Gewerken und Branchen, sowie an verschiedenen Orten. Wobei allein das Wort „Fachkräftemangel“ nicht definiert ist. Die einen sprechen von der Fachkraft Ingenieur, die andern von der Fachkraft Facharbeiter. Je nachdem gibt es viele unbesetzte Ausbildungsplätze oder fehlende Akademiker. Allerdings quellen die Unis und Fachhochschulen über und haben zur Zeit kein Problem. Ich möchte hier über Facharbeit – über Ausbildung sprechen. Die Unternehmen, die Ausbildung anbieten, klagen in zunehmendem Maße. „Jugendliche gibt es mehr als genug, aber qualitativ ist da nichts mehr zu machen“ ist so ein Statement. Mehr oder minder freundlicher oder auch schlimmer formuliert ist dies (mit Ausnahmen) einhelliger Tenor. Das ganze Problem liegt bei den Jugendlichen, die es nicht mehr bringen, es nicht drauf haben und sowieso keine Sozialkompetenzen besitzen. Und noch nachgelegt hört man, die sind auch noch selbst Schuld an der ganzen Misere. So langsam gibt es aber mit dieser einfachen Haltung ein Problem.
Ausbildungsmarkt – wer ist Anbieter, wer ist Nachfrager?
Die Rede ist immer von einem Ausbildungsmarkt. Dieser unterliegt Marktkriterien. Angebot und Nachfrage. So haben wir es alle gelernt. Aber was ist jetzt? Wer ist jetzt der Anbieter und wer der Nachfrager? Wenn Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können, wer ist dann der Anbieter? Der Jugendliche? Auf den ersten Blick könnte man sagen, wenn der Betrieb einen Ausbildungsplatz besetzen will (Anbieter), diesen aber nicht besetzt, weil z.B. keiner den Job lernen will (Nachfrager), dann wird der Betrieb zum Nachfrager. So sieht es zur Zeit aus. Und da es immer weniger Kinder gibt, wird sich diese Situation erstmal nicht verbessern. Zumindest nicht in den nächsten 18 Jahren, selbst wenn wir jetzt eine noch nie gesehene Geburtenwelle bekämen. Und vor diesem Hintergrund können wir etwas beobachten, was in jedem anderen Markt vollständig inakzeptabel wäre und in Folge simpel und ergreifend zur Pleite führen würde.
Ich (Betrieb) habe ein Angebot, was nur wenige haben möchten und ich beklage öffentlich die Nachfrager (Jungendliche), wie unreflektiert sie sind, das Angebot nicht anzunehmen. Dabei beteilige ich mich an der Aufstellung von Kriterienkatalogen (Ausbildungsreife), um die Nachfrager in „Reif oder Unreif“ zur Nutzung meines Angebotes zu klassifizieren und schließe dadurch per se Nachfrager aus, mein Angebot anzunehmen bzw. annehmen zu dürfen. Zusätzlich beteilige ich mich an Studien, die zu dem Schluss kommen, das die Nachfrager faktisch überhaupt nicht in der Lage sind (teilweise 83 % bundesweit), mein Angebot zu nutzen und in Anspruch zu nehmen. Und das alles veröffentliche ich im ganzen Land überall. Auch da, wo die Nachfolger zu finden sind. Dabei sage ich es denen gleich klassenweise ins Gesicht.
Marketingtechnische Katastrophe
Wenn wir uns in einem freien Markt bewegen würden, so wäre dies eine marketingtechnische Katastrophe und ein öffentliches Eingeständnis, dass mein Angebot nicht mehr zeitgemäß ist und keine Existenzberechtigung mehr hat. Und schon überhaupt nicht mehr, um als Grundlage für die berufliche Lebensversorgung der Nachfrager (und damit der Gesellschaft im Ganzen) zu dienen. Im Weiteren führt die Diskussion durchaus zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Ausbildung. Wenn die Ausbildung im dualen Berufsbildungssystem sich so weit von den realen Möglichkeiten entfernt, dann wird dieses System nicht mehr gefördert und mit der Zeit nicht mehr von den Betrieben getragen werden (können).
Es gibt keinen Ausbildungsmarkt
Spätestens jetzt müssen wir anerkennen, dass wir uns nicht in einem freien Markt bewegen. Wir haben keinen Ausbildungsmarkt. Ohne Unterlass wird in diesen angeblichen Markt eingegriffen. Reguliert, standardisiert und versucht, bestimme Wege zu öffnen und gleichzeitig andere zu schließen. Dabei machen wir dieses nicht im Sinne der Persönlichkeit des Individuums, sondern zum größten Teil ausschließlich zur Verwertbarkeit in der Berufs- und Arbeitswelt. Auf Wegen, die Unsicherheit bei Anbietern und Nachfragern schafft. Das bringt sicherlich auch die Ausdifferenzierung und die Entindividualisierung in der Gesellschaft mit sich, denn einfach so denkt sich niemand sowas aus.
Eine schier unüberschaubare Auswahl führt zu Unsicherheit und Angst
Die „Auswahl“, zum Beispiel an Berufen vergrößert sich ständig. Da verweise ich mal auf Ulrich Beck´s Risikogesellschaft. Unüberschaubare Auswahl führt zu Verunsicherung und in Folge zu Angst. Orientierung ist praktisch nicht möglich. Orientierung geschieht durch die Umwelt des Individuums. Das kann jeder mal selbst im Kleinen probieren. In einem Restaurant bekommen wir eine Speisekarte mit 120 Gerichten. Der Auswahlprozess dauert lange, man wird sich unsicher was man nimmt und am Ende ist es meistens so, dass man beim Essen des gewählten im Kopf hat, man hätte lieber doch ein anderes genommen. Wenn man aber eine Speisekarte bekommt, in der nur zwei Gerichte angeboten werden und man hat sich hier zu entscheiden, dann fällt die Wahl in der Regel einfacher. Was machen wir mit diesem Beispiel nun im Kontext?
Schränken wir die Berufeanzahl ein? Differenzieren wir die Berufe neu? Definieren wir Beruf neu oder organisieren wir einfach nur anders? Ich persönlich denke, die Lösung liegt ein wenig in allem. Vor allem sollten wir mit den ganzen Überlegungen aufhören, wieso die Nachfolger das alles nicht hin bekommen. Denn die stehen am Anfang. Die konnten noch nicht viel falsch machen, denn keiner sucht sich seine Erziehung (sei es in der Familie oder in Teilen in der Schule) aus. Jugendlichen wird in aller Regel keine eigene Meinung zugestanden. Sie sind eher fremdbestimmt und reagieren auf die Umwelt. Die Betriebe und die Gesellschaft bieten die Rahmenbedingungen, in welchen alles passieren kann. Und jeder kann sich nur verhalten, wie es die Rahmenbedingungen erlauben. Und die gilt es zu verändern.
Verändern einzelner Rahmenbedingungen – Ausbildungsreife
Stichwort ist die Überwindung vermeintlich absoluter selektiver Prozesse. Mit Bezug auf die Ausbildung sollte die Aufhebung der Zuweisung einer Ausbildungsreife vorne anstehen. Die Ausbildungsreifekriterien sollten nicht mehr in ihrer jetzigen Form angewendet werden. Wir erinnern uns, dass die Ausbildungsreife in erster Linie eingeführt wurde, damit die Bundesagentur für Arbeit Ihrer Aufgabe der Zuweisung von Jugendlichen in Berufliche Ausbildungsgänge nachkommen kann. Sie dient zur Operationalisierung dieser Aufgabe. Ausbildungsreife kann nicht erworben werden und es lassen sich keine Rechte daraus ableiten, wenn Sie zugewiesen wird. Ausbildungsreife wird meist als absolute Aussage aufgenommen. Das ist sie aber nicht. Außerdem hat theoretische Ausbildungsreife keine reale Relevanz. Sie findet VOR der Aufnahme einer Ausbildung statt und kann keine Aussage über einen möglichen, realen Ablauf (oder Erfolg) einer Ausbildung treffen. Sie dient zur Erkennung von Tendenzen ob eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen werden kann. Dies ist jedoch nicht verifizierbar. Man kann die gemachte Aussage über eine Ausbildungsreife nicht nachweisen.
Es wird nicht erfasst, wenn jemand nicht Ausbildungsreif ist, aber dennoch eine Ausbildung erfolgreich absolviert und andersherum, wenn jemand als Ausbildungsreif eingestuft wurde, die Ausbildung aber nicht erfolgreich beendet. Ebenso entfällt die Information, wie viele Ausbildungsreife KEINE Ausbildung bekommen wie auch nicht Ausbildungsreife, die eine Ausbildung aufnehmen. Auch die wissenschaftliche Bearbeitung der Ausbildungsreife kommt zu dem Schluss, dass wir von einem theoretischen Konstrukt reden, welches in der realen Anwendung nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt.
Verantwortung in den Betrieb geben / nehmen
So wie Unternehmen Ihre Produkte herstellen oder mit verschiedenen betrieblichen Prozessen das Unternehmen am Laufen halten, sollten sie es mit dem Nachwuchs tun. Die Weiterbildung der eigenen Leute, die Übernahme von erweiterter Ausbildungsorganisation hilft, sich hier mit jungen Menschen anders und gemeinsam in eine Zukunft zu bewegen, die für alle Vorteilhaft ist. Die Möglichkeiten sind so vielfältig, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Hier haben wir als Betrieb nun das Problem mit Orientierung und Unsicherheit. Wir haben das gleiche Problem wie die Jugendlichen. Ich nehme jetzt mal folgenden Rat, der Jugendlichen oft gegeben wird. „Im Internet steht doch alles. Informationen sind überall verfügbar. Da muss man doch das finden, was für einen gut ist!“. Und ich gebe gleich ein Beispiel für eine praktische Quelle. Wer bei Facebook die Gruppe „Ausbildung, Studium, Beruf“ aufruft, der findet seitenlange Beispiele von funktionierender Berufsorientierung, von Projekten, von Zugängen zu Ausbildung. Ebenso kritische Fragestellungen wie auch viel rund um die Digitalisierung der Arbeitswelt. Unter anderem auch die Kompetenzen, die Jugendliche haben! Die sind vielleicht verlagert und entsprechen nicht den Wünschen der Betriebe. Aber man kann damit arbeiten. Wenn sich jemand hier die richtigen Informationen beschafft, wer sich nach externem Ausbildungsmanagement umschaut und sich einen Überblick über die kleinen und mittleren Betriebe verschafft, die erfolgreich ausbilden, der findet seine Lösung. Da bin ich ganz sicher.
Wir sollten alle miteinander sprechen. Die Vorgänger und die Nachfolger benötigen sich. Wer sich benötigt muss zusammenarbeiten. Zusammenarbeit gibt es nur, wenn man gemeinsam an der Zukunft feilt. Und dieses Gemeinsam müssen die Nachfolger fühlen können. Es reicht nicht aus, das nur zu sagen. Das tatsächliche „Tun“ muss dem Gesagten entsprechen.
©2014 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.
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