Und der Gewinner wäre – das Bildungssystem und die Gesellschaft
Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wäre. Anders als sonst fange ich einfach mit einem Lösungsvorschlag an, der im Kern sogar systematisch relativ einfach machbar wäre. Es bräuchte Weiterbildung und Verlagerungen auf Kompetenzen, die den Umgang mit Informationen ermöglichen und nicht die Information selbst vermitteln.
- Chancen beginnen mit Möglichkeiten und Optionen.
- Damit die Gesellschaft über ihre Systeme die meisten Optionen und Möglichkeiten für sich selbst generieren kann, sollte deutlich im Vordergrund stehen, wer, wie und mit welchen Kompetenzen jemand das Bildungssystem verlässt.
- Die benötigten Kompetenzen dafür sind glücklicherweise die gleichen, wie sie für den Umgang mit Multioption, Digitalisierung oder auch Informationen gelten.
- Die Ausbildung und Förderung dieser Kompetenzen verlangen einen barrierefreien Zugang in das Bildungssystem.
- Auf der Suche nach Optionen und Möglichkeiten können die Menschen ressourcenorientiert mitgenommen werden.
- Das gilt im Besonderen für diejenigen, die das aus irgendwelchen Gründen nicht selbst können. Auch hier gilt aber: Mehr Möglichkeiten erlauben mehr Optionen für die Einzelnen und damit bewegen wir uns in einem System von Möglichkeiten.
Wir bewegen uns aktuell allerdings in einem System der Begrenzung und Einengung. Schon seit vielen Jahren.
Das Problem
Diese Zusammenhänge in dem angeführten Lösungsvorschlag lässt sich kaum mit scharfen Begriffen beschreiben. Damit kann der Eindruck entstehen, man würde im schlimmsten Fall die Kontrolle darüber verlieren. Dies ist möglicherweise eine Grundsorge derer, die über das System entscheiden und bestimmen. Hier brauchen die Systeminhaber Kompetenzen, sich in einem unscharfen Umfeld zu bewegen und damit umgehen zu können. Und wenn man sich das genau anschaut, ist eine Kontrolle im jetzigen Zustand ziemlich fraglich.
„Wenn man Zugänge von Erlaubnis oder Bedingungen abhängig macht, dann versuchen wir anzunehmen oder meinen zu wissen, welche Teilnehmer*innen sich innerhalb des Bildungssystems erfolgreich bewegen werden. Wir gehen davon aus, dass diese (system)erfolgreichen Teilnehmer*innen das System selbst erhalten. Mit diesem Vorgehen grenzen wir uns selbst ein und vermindern und verhindern systematisch die Möglichkeiten, den selbstgezogenen Zaun zu überwinden.“ Achim Gilfert
Wir dürfen uns dann auch einmal die ernsthafte Frage stellen, aus welchem Grund es diese absichtlichen Eingrenzungen gibt. Wozu sind die tatsächlich da? Wozu dient so eine Mauer? Das jemand nicht herein kommen kann? Und wenn ja warum? Oder das jemand nicht herauskommen kann? Und wenn ja, warum? Und warum machen wir die Mauer durchlässig? Kann die Mauer nicht einfach weg? Einmal habe ich darauf eine Antwort dergestalt erhalten, die Grenzen seinen als Schutzmechanismus vor Überforderung zu sehen, orientieren und geben Klarheit. Wenn dem so wäre, könnten sich die Probleme nicht so darstellen wie sie es tun.
Wir haben in Deutschland Konventionen, die implizit erläutern, was „ein gutes Leben ist“. Daran wird von den strukturgebenden Institutionen und Vorgaben alles fest gemacht und es gibt eine gewisse Vorannahme, dass das alle so sehen. Darunter fällt die Annahme von einem sicheren Arbeitsplatz, einer sicheren Finanzierung des Wohlstandslebens oder auch das Ziel eines höchst möglichen Schulabschlusses um eben den sicheren Arbeitsplatz zu erhalten. Wer dem nicht folgt (zum Beispiel Menschen, die „Sicherheit und Lebenssinn“ anders definieren, anders sehen, innerhalb dieses Systems auch einfach keinen Platz finden oder denen ein solcher nicht gewährt wird) wird als Nerd oder als jemand mit ganz seltsamer Einstellung angesehen, kurioserweise aber oftmals auch bewundert (eben weil sie etwas anderes machen).
Der aktuelle Sozialbericht der Bundesregierung vermeldet erneut, dass seit den 80er Jahren ein Aufstieg im Bildungssystem immer schwieriger wird und für die, die mit wenig Möglichkeiten ausgestattet sind, ein Aufstieg faktisch immer unmöglicher wird. Und dabei weisen die Forscher wieder darauf hin, dass es nicht in der jeweiligen Person liegt, sondern eben an der Herkunft und der Familie, aus der man stammt.
Verantwortlich dafür: Das Bildungssystem
Es ist nicht möglich, dass dieser Zusammenhang nicht bekannt ist. Dafür gibt es ja die Forschung und die Berichte. Gleichzeitig wurde über all die Jahre das Problem größer – alle Maßnahmen und Ideen wirken nicht. Wir erkennen digitale Spaltung, gesellschaftliche Spaltung sowie eine finanzielle Schere, die weiter auseinander geht. Die Zahlen sprechen für sich. Die eigentlich kritischen Fragen müssen lauten: Warum wird das zugelassen? Warum wird keine ernsthafte Veränderung des uralten und aus dem Kaiserreich stammenden Bildungssystems angestoßen? Bis auf den Herrschaftsanspruch oder eine Schichtzementierung fällt mir persönlich kein Argument ein. Und dies wäre eines, welches im Grunde kaum noch eine Berechtigung in den realen Lebenswelten der heutigen Zeit findet.
Wenn man Optionen ermöglich will, darf es keine Grenzen geben.
Am Ende wäre die Umkehr kein neues System, sondern die Perspektive und der Fokus läge auf der Entwicklung – weniger auf der Eingrenzung. Dann dürfte es auch besser laufen mit der Digitalisierung, den Bildungsfragen und der gesellschaftlichen Entwicklung. Es braucht dafür allerdings mehr Ehrlichkeit und mehr Bewusstsein der Regierenden. Und vielleicht hier und da etwas mehr Kompetenzen in der Sache. Am Ende ist die systematische Ungerechtigkeit und das Setzen von Barrieren aber ein Konsens der Gesellschaft. Das finde ich sehr schade.
Ergänzung zum originalen Beitrag: Mit Optionen und Möglichkeiten ist nicht gemeint, die Menge eben dieser in dem System zu erhöhen, sondern im Gegenteil, die Menge zu verringern und den Fokus gleichzeitig auf qualitative Aspekte zu legen.
©2021 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.
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