Schule aus der Perspektive der Beruflichkeit. Ein Gedankenspiel zum Nachdenken
Es ist möglich, den Schulbesuch von jungen Menschen unter dem Aspekt der Beruflichkeit zu betrachten. Neben dem Social Science Kanal „sprouts Deutschland“ , hat Gustav Keller diesen Umstand thematisiert und in seinem Buch „Die Schülerschelte“ beschrieben. Auszüge finden Sie in diesem Beitrag.
Auf diesem Wege wird eine andere Sicht auf Schüler*innen ermöglicht. Dabei geht es um eine Perspektive der Beruflichkeit, die wir aus unserer eigenen alltäglichen Arbeit kennen. Wir schauen dabei aus einer Richtung, welche sehr vielen Menschen Anerkennung, Halt und Sinn gibt. Deswegen können wir uns gut das Gedankenspiel einfühlen.
Das Gedankenspiel
Bei der Recherche über die Wochenstundenzahl für Schülerinnen und Schüler konnte ich keine eindeutigen Zahlen finden. Die Kultusministerkonferenz gibt für alle Schulformen und über alle Jahrgangsstufen hinweg Zahlen an, die eine Stundenzahl nicht unterschreiten dürfen sowie eine maximale Stundenzahl. Man unterscheidet nach Leistungs- und Begabungsklassen, nach Pflichtstunden und auch nach Stundenarten. Sie finden eine Liste aus dem Jahr 2021/2022 hier.
Ich fand ein Spektrum in den Angaben zwischen 32 und 66 Stunden in der Woche. Das sind nach Adam Riese – und von mir naiv gerechnet – 49 Wochenschulstunden im Durchschnitt, was 37 Zeitstunden entspricht.
Stellen Sie sich folgendes vor:
Sie arbeiten in einem Betrieb. Sie erhalten für die Arbeit keine Bezahlung. Sie werden aber streng bewertet für das, was Sie tun und wie Sie es tun. Es wird Ihnen nur gezeigt, was Sie falsch machen. Zudem beginnt der Tag im Betrieb mit einer ersten, einstündigen Besprechung. Dann folgt eine weitere und eine weitere. Die Besprechungen sind zusammenhangslos und es geht um ganz unterschiedliche, scheinbar willkürliche, betriebliche Ziele.
Mehrfach erhalten Sie die Anweisung, sich auf das Eine zu konzentrieren, das Andere zu verbessern und sich an jenes auch zu erinnern. Arbeiten Sie ohne zu klagen, seinen Sie leise und hören Sie auf Ihren Vorgesetzten. Das, was dieser Ihnen sagt, darüber machen Sie sich Notizen. Nehmen Sie das ernst!
Und nun kommt der Feierabend. Der Vorgesetzte kommt zu Ihnen und sagt, dass Sie jetzt bitte noch Teile der Arbeit mit nach Hause nehmen. Das ist dann auf jeden Fall bis morgen zu erledigen. Und wenn Sie das alles nicht richtig gut machen, dann bekommen Sie Weiterbildungen vorgeschlagen, die Sie am Abend noch nach der Bearbeitung der Arbeit absolvieren müssen.
Zusätzlich erhalten Sie auf die Frage keine Antwort, warum Sie das machen sollen. Das stimmt natürlich nicht, denn Sie erhalten diese Antwort und die lautet: „Weil das so ist. Weil man sonst nicht weiterkommt. Weil man sonst nichts wird und weil es so im Plan steht.“. Nachdenklich gehen Sie schlafen und fragen sich, wieso es für verschiedene Schulfächer Fachanleiter gibt, während Sie selbst jedes Fach erlernen sollen?
Was löst dieses Gedankenspiel aus?
Welches Gefühl entsteht in Ihnen, wenn Sie die Zeilen gelesen haben? Würden Sie dort arbeiten wollen, selbst wenn Sie eine Wahl hätten? Was würde die Gewerkschaft sagen? Was würden die Ärzte und Therapeuten – auch die Psychotherapeuten sagen? Was würden Sie tun, wenn Sie wissen, dass wenn Sie sich dem entziehen, Sie unter staatliche Beobachtung kommen. Möglicherweise haben Sie Schwierigkeiten , woanders einen Job zu erhalten. Fragen Sie sich einmal, was Sie in dieser Situation machen würden.
Schauen wir zurück
Die Geschichte von Schule reicht tausende Jahre (Sumerer & Co) zurück. Auf dem Blog finden Sie einige Beiträge dazu, sodass ich hier bis auf eine Sache nicht darauf eingehe: Friedrich der Große, König von Preußen, etablierte einen Gedanken einer modernen Fabrikschule. Dabei ließ er sich von Platon inspirieren, denn der perfekte Staat benötigt perfekte Menschen und diese brauchen eine perfekte Erziehung. In diesem Gedanken wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Um die Lesefähigkeit zu erhöhen und die Bildung aller Menschen im Staat, egal ob arm oder reich, zu fördern. In Preußen sah man acht Jahre Unterricht in Lesen, im Schreiben, in der Musik und der Religion vor.
Es wurde streng auf Pflicht, Disziplin und Gehorsam Wert gelegt. Am Ende wurden ähnliche Modelle zu einem kulturellen und wirtschaftlichen Erfolg auf der ganzen Welt. Staatsbeamte auf der ganzen Welt fingen an, Lehrpläne zu schreiben und die öffentliche Bildung wurde zur Pflicht, aber auch zum Recht der Kinder. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sorgten nicht mehr die Eltern für den Schulbesuch, sondern der Staat überwachte diesen. Heute ist der Zugang zu Informationen weltweit möglich und meist im Überfluss vorhanden.
Seit über 180 Jahren ist auch bekannt, dass die Annahme bestimmter Begabungen, denen unser Schulsystem zugrunde liegt, falsch ist. Wir wissen heute, anders als damals, um die entwicklungspsychologischen Vorgänge bei Menschen. Wir wissen zu einem großen Teil, wie Menschen als biologische Einheit und soziale Wesen funktionieren und welche Bedarfe hierfür erfüllt werden müssen. Damit möchte ich auf die allgemeine Kritik der Unwissenschaftlichkeit manch ressourcenorientierter Ersatzschule eingehen und darf feststellen, dass unser Regelschulsystem sich, damals wie heute, nicht an wissenschaftlicher Erkenntnis im Bereich menschlicher Entwicklung ausrichtet.
Und in diesem Sinne hat der Staat hat das Entscheidungsmonopol, was wir lernen sollen und müssen. Ist das noch richtig? Das ist für mich keine rhetorische Frage, sondern eine ernst gemeinte.
Stichpunkte zu den Realitäten der heutigen Schulen
Schauen wir einmal, was die (gefühlte) Realität junger Menschen ist, die in einer Schule des 21. Jahrhunderts lernen. Je nach Publikation werden verschiedene Aspekte genannt, aber alle ähneln sich in der Botschaft:
- Die Schule kann die Eltern-Kind-Beziehung negativ beeinflussen und durch eine Angstatmosphäre ersetzen.
- Die Institutionalisierung der Kinder in einheitliche Klassenzimmer ist wider einer effizienten Nutzung von Zeit und den Potentialen der Kinder.
- Von jedem Kind wird verlangt, Themen auf bestimmten Wegen und in einer vorbestimmten Geschwindigkeit zu lernen. Dabei werden häufig weder die Vorkenntnis und noch weniger die Interessen der Kinder in den entsprechenden Altersstufen berücksichtigen.
- Die Kinder lernen in der Schule vor allem, Anweisungen zu befolgen. Das bedeutet, sie lernen und üben nicht, Dinge selbst zu tun.
- Den Kindern wird von Anfang an gelehrt, dass sie nichts wissen. Ihre Defizite werden ständig in den Vordergrund gestellt und es wird ihnen immer gesagt, was sie tun sollen. Die Konsequenz ist oftmals zu späterer Zeit, sich mit wenig kritischen Gedanken anzupassen. Sie lernen dadurch nicht zu erkennen, was sie wollen.
- Die Fächer in den Schulen bestehen (bis auf wenige Ausnahmen) ausschließlich aus Gedankengrundlagen, die vor hunderten Jahren entstanden sind.
- Eine Note bewertet den Grad einer Erfüllung der systemischen Erwartung und nicht eine Kompetenz.
„Die Angst der Kinder ständig geprüft zu werden, ihre Angst vor Versagen, Bestrafung und Beschämung, schränkt ihre Wahrnehmungs- und Gedächtnisfähigkeiten stark ein und führt sie weg vom Lernstoff hin zu Strategien, um den Lehrern vorzutäuschen, dass sie wissen, was sie in Wirklichkeiten nicht wissen.“. John Holt
Soweit sollte dieser Beitrag zum Nachdenken anregen. Wie immer gibt es keinen Anspruch auf Richtig- oder Falschheit. Auch bei diesen Themen gibt es Spektren. Aber persönlich finde ich, dass wir Menschen als emotional agierende Wesen auf uns achten sollten und ich bin voll dafür, unser Wissen um die Dinge für Veränderungen einzusetzen.
Der nächste Beitrag auf diesem Blog wird eine Veränderung der Ausrichtung in den Beiträgen und Berichten an dieser Stelle zum Inhalt haben. Nach Abschluss des Buches „Theorie & Praxis im deutschen Bildungssystem“ werden wir uns hier nur noch mit sogenannten Best Practice Beispielen beschäftigen und uns an die Spuren der Aktivitäten heften, die heute schon in den vorhandenen Systemen und mit Duldung oder Bewilligung von Ländern sowie dem Bund, Veränderungen herbeiführen. Hier finden Sie zwei Beiträge, die bereits in diese Richtung gehen. Beitrag 1 | Beitrag 2
Keller, G. (2014). Die Schülerschelte. Leidensgeschichte einer Generation. Reihe Pädagogik. Band 52. Herbolzheim. CENTAURUS Verlag & Media UG
Sprouts Deutschland
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