Berufswertigkeit: Sind berufliche und akademische Abschlüsse gleichwertig?

Berufswertigkeit: Sind berufliche und akademische Abschlüsse gleichwertig? <br><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/theorie_120.png"/><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/verweis_120.png"/><br><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/praxis_120.png"/>

In diesem Beitrag möchte ich von einer vergangenen Tagung zur Gleichwertigkeit von beruflichen Weiterbildungsabschlüssen und akademischen Abschlüssen berichten, die zur Zeit durch die Anwendung des DQR wieder in den Vordergrund rückt. Es handelte sich dabei um die Vorstellung der zentralen Befunde der Studie “Berufswertigkeit konkret”. Diese Studie folgte einer ersten Studie “Berufswertigkeit” nach, die im Mai 2008 auf dem Weiterbildungskongress in Köln vorgestellt wurde. Die Veranstaltung wurde 2011 durch den Westdeutschen Handwerkskammertag (WHKT) organisiert und hat an Aktualität auch nach der Einführung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) nichts eingebüßt.

Der WHKT ist auch erneut Auftraggeber der Studie gewesen, die durch das Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Universität zu Köln (FBH) sowie die Fachhochschule für Ökonomie und Management (FOM), durchgeführt wurde. In diesem Beitrag gebe ich einen von mir zusammengefassten Eindruck wieder. Wer mehr über das Thema wissen möchte, dem seien die beiden Studien als Lesestoff zu empfehlen. Für mich ist das Thema spannend, da ich einen beruflichen Weiterbildungsabschluss als Meister im Maschinenbauerhandwerk sowie einen akademischen Abschluss als B.A. Bildungswissenschaft habe.

Worum geht es bei der Diskussion der Berufswertigkeit überhaupt?
Im Kern lässt sich sagen, dass im Rahmen der Aktivitäten über einen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR), der auch dazu dient, innerhalb eines Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR), eine Vergleichbarkeit von Qualifikationen innerhalb Europas herzustellen sowie die Frage der Wertschätzung von beruflichen Weiterbildungsabschlüssen im Vergleich zu akademischen Abschlüssen zu bearbeiten. Initiiert wurde die Debatte zur Berufswertigkeit durch Institutionen der Beruflichkeit (Handwerk), die wesentlich auch von den Gewerkschaften unterstützt werden. Dabei war zu spüren, dass das Handwerk einen größeren Wert auf den Status der Beruflichkeit legen möchte, während die Gewerkschaften mehr Entlohnung für die Beruflichkeit wünschen. Im Weiteren soll vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen europäischen Vergleichbarkeit das deutsche Bildungssystem im Ganzen gestärkt werden. Hier wäre neben ECTS an den Hochschulen, das ECVET für die berufliche Bildung zu nennen (International nun GOVET). Jedoch finden sich in diesen Kontexten laut der Autoren “inhärente Fehler”. Es fehlen wissenschaftliche, empirische Erhebungen sowie die „Operationalisierung einer Wertigkeit” (vgl. Klumpp, 2010).

Neben der gesellschaftlichen Wertschätzung fließt dann natürlich auch die Frage der Entlohnungen ein. Angemerkt wurde auch, dass diese Diskussion bestimmte  “Standesdünkel” durchbrechen können. Der Berufswertigkeitsindex (BWI), welcher zur Bestimmung von Gleichwertigkeit angewendet wird, besteht aus 36 personenbezogenen Anforderungskriterien und ermöglicht einen Niveauabgleich formaler Bildungsabschlüsse in der Berufspraxis (aus Perspektive der Anforderung an Führungskräfte). Eine Berufswertigkeit lässt sich demnach “ausrechnen”. Die Formel selbst ist in der folgenden Abbildung interessehalber aufgezeigt (vgl. Klumpp et.al 2008, S. 124). bwNatürlich benötigt man auch die 36 Kriterien, welche in den Studien zu finden sind (Link am Ende des Artikels). Frappierend, für welche teils abstrakten Dinge man eine Formel erstellen kann. Diese wurde auch in der Studie “Berufswertigkeit Konkret” genutzt, durch welche fundierte Aussagen über die “konkreten Weiterbildungsabschlüsse  Kraftfahrzeugtechnikermeister/in und Handelsfachwirt/in sowie deren korrespondierenden Hochschulabschlüsse (Ingenieurwesen und Betriebswirtschaftslehre)” (Klumpp et.al., 2010, S. 9) getroffen werden konnten.

Die Studie führte zu folgenden Ergebnisthesen:
“Der Berufswertigkeitsindex und das daraus entwickelte Berufswertigkeits-Differenz-Maß liefern belastbare Ergebnisse für einen Niveauvergleich formaler Bildungsabschlüsse aus der Perspektive der Anforderungen der Berufspraxis. Gleichzeitig bietet das Konzept der Berufswertigkeit eine Grundlage zum systematischen, Kriterien geleiteten Abgleich curricularer Bildungsvorgaben. Die Ergebnisse zeigen generell eine bestehende Gleichwertigkeit beruflicher Weiterbildung und hochschulischer Bildung für diese vier Abschlüsse auf. Ergänzende Fragestellungen und Ergebnisse der Studie zeigen im Vergleich von Absolventen und Führungskräften unter anderem auf, dass durch das Messkonzept der Berufswertigkeit auch der Effekt informellen Lernens in der Berufspraxis nachweisbar ist” (Klumpp et.al. 2010, S. 9)

Kritische Anmerkungen:
Kritisch bemerkt wurde bei der Vorstellung der Studie, dass es sich bei dem Erhebungsdesign um Führungskräfte handelt, die sich bereits in dieser Position befinden. Die Zahlen weisen aber auch darauf hin, dass zum einen beruflich Qualifizierte länger brauchen als Hochschulabsolventen um eine Führungsposition zu bekommen. Die Frage, wieviel Prozent der beruflich Qualifizierten im Vergleich zu Hochschulabsolventen jedoch überhaupt als Führungskraft eingesetzt werden, wurde außer Acht gelassen. Ebenso lässt sich der deutsche Qualifizierungsrahmen als solcher nicht hierarchisch betrachten. Es soll zwar so sein, dass mit höherem Niveau (Stufen von 1-8) die Kompetenzen höher werden bzw. sind, wobei das aber bei der Wertigkeit der Kompetenzen schon schwierig ist. Als Beispiel führte Prof. Klumpp an, dass “ein Qualifizierter auf der Stufe 4 nicht die Kompetenzen der Stufe 8 hat, also z.B. nicht forschen könnte, jedoch kann es sein, dass jemand auf der Stufe 8 möglicherweise nicht die Kompetenzen hat, eine Tätigkeit der Niveaustufe 4 auszuüben (z.B. LKW fahren)”.

Mein Fazit:
ein Satz von den Professoren Klumpp und Buschfeld war: “Gleichwertigkeit ist nicht Gleichartigkeit”. Ich persönlich finde, wir reden bei Berufswertigkeit über ein theoretisches Konstrukt, welches Realitäten zu einem großen Teil außer Acht lässt. Was machen wir denn nun mit einer Berufswertigkeit. Was machen wir mit der Information, dass z.B. der Meister die gleiche Wertigkeit hat wie ein Bachelor, wie es nunmehr formal in dem DQR festgeschrieben ist? Was folgt daraus? Oder ist es nur ein theoretisches Konstrukt, welches dem Konstrukt Deutscher/Europäischer Qualifikationsrahmen dient? Oder soll es mehr Anerkennung für die beruflich Qualifizierten in der Gesellschaft, der Reduzierung von Minderwertigkeitsgefühlen oder konkret die Forderung nach mehr Entlohnung- mindestens wie die Bachelors, dienen? Dazu möchte ich anmerken, dass Meister häufig mehr verdienen als Bachelor und die Bezüge der Bachelorabschlüsse eher Richtung berufliche Abschlüsse gehen. Wer weiß, was z.B. junge Sozialpädagogen in der beruflichen Bildung verdienen, der würde sich wünschen Meister zu sein. Zumindest wenn er/sie auf ein Standesdünkel oder den Status eins Akademikers verzichten kann. Wenn ich meinen Lebenslauf betrachte, möchte ich ganz klar das Fazit ziehen:

Meister zu werden war genau so schwer, wie die Mühe, einen Bachelorabschluss zu erarbeiten. Aber es war anders. In der beruflichen Weiterbildung geht es nie darum, neues Wissen zu generieren, sondern das Wissen um die Dinge, möglichst den Stand der Dinge, zu erlangen. Ebenso ist die Fähigkeit wichtig, Wissen auf andere Konstellationen zu transferieren. Um einen Bachelorabschluss zu erhalten war es nötig, vorhandene Fakten zu kennen, um daraus in Kombination mit wiederum anderem Wissen Schlüsse zu ziehen, die z.B. auch neues Wissen generieren, um in Folge die Fähigkeit zu erlangen, dies nach bestimmten Standards zu dokumentieren. Dies erforderte eine viel tiefere Beschäftigung mit den Themen als es eben auf der Meisterschule möglich und notwendig war.

Da wir aber hier um die Wertigkeit beruflicher Weiterbildungsabschlüsse reden müssen wir bedenken, dass vor einer beruflichen Weiterbildung in aller Regel eine Berufsausbildung stand, in welcher auch der Erwerb personaler, sozialer und praktischer Kompetenzen eine große Rolle spielten. Und genau diese sind es, die manchmal bei reinen akademischen Erststudiengängen wie z.B. Bachelor vermisst werden. Da könnte man fast schon sagen, der Meister kann durchaus in vielen Fällen eine höhere Wertigkeit haben. Ich möchte mich dem Statement der Professoren anschließen: Bachelor und Meister sind gleichwertig. Aber Gleichwertigkeit ist nicht Gleichartigkeit. So wurde es jetzt auch als verbindlich in den Deutschen Qualifizierungsrahmen festgehalten. Und jetzt?

Die Abschlussberichte beider Berufswertigkeits Studien finden im unteren Bereich folgender Webseite: http://www.handwerk-nrw.de/berufswertigkeit

©2017 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.

9 Kommentare zu „Berufswertigkeit: Sind berufliche und akademische Abschlüsse gleichwertig?

  1. Der neue Koalitionsvertrag enthält folgende Passage: „Gleichwertige berufliche Qualifikationen erkennen wir für höhere Karrierewege im öffentlichen Dienst an.“
    Frage: Welche berufliche Qualifikation ist ausreichend für höhere Karrierewege im öffentlichen Dienst: Gehobener/Höherer Dienst.
    Fordern wir von den Parteien als Wahlprüfstei eine Aussage.
    Im Mai 2022 ist in Schleswig-Holstein Landtagswahl.

  2. Es ist nicht in Ordnung alle Berufsausbildungen mit dem des Lkw-Fahrers zu vergleichen. Das geht nicht gegen Lkw-Fahrer wirklich nicht. Aber fahren Sie mal eine Woche LKW. Weiter reparieren sie mal eine Woche lang LKW´s. Es gab auch mal Gründe warum die Techniker Ausbildung von 1200 Stunden Minimum auf 2400 Stunden Minimum erweitert wurde. Es ist auch ein Unterschied ob man Elektrotechnik oder ob man Stahlbaukonstruktionen macht.

  3. Nicht neu, jedoch von Interesse:
    In der Seefahrt sind die Schulabschlüsse Fachschule /SgNautiker) und HS (Bachelor) patentbezogen STCW gleichwertig.
    Ein Nachvollzug erfolgt bei Hafennautiker in HH und HB:
    – gehobener Dienst: Patent Kapitän
    – höherer Dienst: Vierjährige Tätigkeit, davon zwei Jahre als Kapitän

    Bei dieser Betrachtung müsste doch jeder landseitige SgTechniker „in die Hufe kommen“ , und mit Berufserfahrung ähnliches fordern.

      • Es gibt schulische Qualifikationen oberhalb der Fachschulabschlüsse in einer rechtsfreien Bildungsebene.
        In den Ingenieurgesetzen der Länder ist neben demn 6 sem. HS-Studium auch die Oberklasse Bergschule Betriebsführer zum Ingenieur (Ing.) genannt. Die Wertigkeit wird in NRW- Lehrereinstellung deutlich: Als Theorielehrer §60 wird dort -neben dem HS-Abschluss auch der Betriebsführer Oberklasse Bergschule mit FHR genannt.
        Ein Diplom ist lt. Urteil Diplom-Juristen nicht notwendig.

  4. Das ist alles sehr interessant. Entscheident ist nicht die Wertigkeit in der Wirtschaft sondern die Zugangsberechtigung zu den behördlichen Beamtenlaufbahnen. Zum gehobenen Dienst ist der HS-abschluss notwendig und der FS-abschluss SgTechniker bietet nur den Zugang zum mittleren Dienst.
    Notwendig ist die Entkopplung der Zugangsvoraussetzungen allein vom Schulabschluss, sondern eine sachlixhe Bildungsbewertung aller Faktoren. Dabei sollte die duale Berufsausbildung angemessen berücksichtigt werden.

  5. Bei Facebook hat sich zu diesem Beitrag eine Diskussion eingestellt, die auch über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeiten der Zugänge zu bestimmten Bildungsgängen spricht. Ich möchte gerne noch drei Sätze zu meinem Beitrag hinzufügen, die mir sehr wichtig sind:
    „Wichtig ist, wer eine Bildungsstufe erfolgreich verlässt und nicht, wer sie beginnt“.
    „Gleichwertigkeit ist nicht Gleichartigkeit – Vergleichbarkeit ist nicht Gleichheit“.
    „Man muss es nicht tun, aber man muss es tun können“
    Achim Gilfert

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