Der Übergang behinderter Menschen von der Schule in das Erwerbsleben – Möglichkeiten, Chancen und Risiken
Mit freundlicher Genehmigung: Dieter Schartmann: Der Übergang von der Schule in das Erwerbsleben – Möglichkeiten, Chancen und Risiken Erschienen in: Gemeinsam leben – Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 1-00 Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied 2000
Der Übergang von der Schule in das Erwerbsleben bedeutet – für jeden Menschen – nicht nur den Wechsel von der dominierenden Tätigkeitsform »Lernen« zur dominierenden Tätigkeitsform »Arbeiten«, sondern gleichzeitig eine schlagartige Veränderung vieler sozialer Bezugsgrößen wie zum Beispiel der sozialen Rolle, des sozialen Status’ und der sozialen Beziehungen. Damit verbunden sind weitere »Entwicklungsaufgaben« wie die Ablösung vom Elternhaus, häufig auch der Aufbau einer Partnerschaft. Insofern darf der Übergang von der Schule in das Erwerbsleben nicht eindimensional als der Prozess des Erwerbs von arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen und Kompetenzen bewertet werden, sondern muss in einem umfassenden Sinne auf mehreren Ebenen analysiert werden. Ziel dieses Artikels ist es jedoch, den Übergang von der Schule in das Erwerbsleben ausschließlich unter der Perspektive der heutigen beruflichen Möglichkeiten für behinderte Menschen zu beschreiben.
1 Ein allgemeiner Überblick
Die traditionellen Möglichkeiten zur beruflichen Eingliederung behinderter Menschen werden von der Berufsberatung derregionalen Arbeitsämter angeboten. Es sind dabei vier große Bereiche zu unterscheiden*:
1. Die reguläre Vollausbildung nach §§ 25 BBiG (Berufsbildungsgesetz)/HWO (Handwerksordnung). Die abgestufte Ausbildung nach §§ 48 BBiG/42b HWO für diejenigen Menschen, für die eine betriebliche Ausbildung nach §§ 25 BBiG/HWO auf Grund der Behinderung nicht in Frage kommt. Für diesen Personenkreis kann eine modifizierte Ausbildung angeboten werden. Hier sind in aller Regel die Anforderungen an die Fachtheorie und/oder an die Fachpraxis reduziert. Durchgeführt werden diese Maßnahmen überwiegend in Berufsbildungswerken (BBW).
2. Ein F-Lehrgang ist eine Berufsvorbereitende Maßnahme, die mit dem Ziel einer dauerhaften Integration in Ausbildung oder Arbeit durchgeführt wird. In aller Regel wird diese Fördermaßnahme in einer überbetrieblichen Reha-Einrichtung absolviert. Das Arbeitsamt beauftragt freie und gemeinnnützige Träger mit der Durchführung dieser Maßnahmen.
3. Die Werkstatt für Behinderte (WfB) bietet Personen, die nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, einen Arbeitsplatz oder die Gelegenheit zur Ausübung einer geeigneten Tätigkeit. Im Rahmen des Arbeitstrainingsbereichs einer WfB wird ein in der Regel zweijähriger Kurs zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Persönlichkeitsentwicklung durchgeführt.
4. In der folgenden Tabelle sind die beschriebenen Maßnahmen nach Behinderungsart ausgewiesen. Je nach Behinderungsart zeigen sich – erwartungsgemäß – deutliche Schwerpunkte.
Die Angebote, die die Arbeitsverwaltung behinderten Menschen machen kann, sind nach einer »Maßnahmelogik« organisiert: Es bestehen fest definierte und institutionalisierte Angebote, denen behinderte Menschen zugeordnet werden. Durch den Besuch der Maßnahme soll der behinderte Mensch so qualifiziert werden, dass anschließend eine Aufnahme in den Arbeitsmarkt möglich ist. Dieses relativ starre Korsett der beruflichen Bildung kommt nicht unbedingt den individuellen Bedürfnissen behinderter Menschen entgegen. Zwar findet durch die arbeitsmedizinische und/oder psychologische »Begutachtung« der Versuch statt, dem behinderten Menschen eine seinem aktuellen Leistungsniveau adäquate Maßnahme anzubieten; häufig werden den eigentlichen Bildungsmaßnahmen auch zusätzliche Erprobungsmaßnahmen vorgeschaltet. Letztenendes findet aber eine Anpassung des Menschen an das bestehende System der beruflichen Bildung statt, welches darüber hinaus häufig in Sonderinstitutionen organisiert ist (BBW, Überbetriebliche Bildungsmaßnahmen, WfB).
Vor dem Hintergrund wachsender Anforderungen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gestellt werden und die eine verstärkte realitätsnahe berufliche Bildung verlangen, ist die Frage zu stellen, ob der Übergang von der Schule in das Berufsleben gerade für behinderte Menschen nicht auch flexibler, individueller, betriebsnäher sowie nach regionalen Besonderheiten organisiert werden kann. In den letzten Jahren sind zahlreiche Modelle und Projekte entwickelt worden, in denen der Übergang von der Schule in das Erwerbsleben unter verschiedenen Schwerpunkten konzeptionell bearbeitet worden ist und modellhaft Wege der Qualifizierung von behinderten Menschen erprobt worden sind, so für sehbehinderte Menschen (Appelhans et al. 1999), körperbehinderte Menschen (z.B. BMA 1995, Bungart & Barlsen 1995, LVR i.D.), hörgeschädigte Menschen (LVR 1993), lernbehinderte Menschen (z.B. Pfeiffer et al. 1997), geistig behinderte Menschen (z.B. Böhringer 1993, Ciolek 1998, Glenz & Sturm 1997, IMPULSE 1997, LVR i.D.). Sowohl wegen der Vielzahl der Projekte als auch wegen der Heterogenität der Zielgruppen kann hier keine differenzierte Beschreibung der vorliegenden Modelle vorgenommen werden. Vielmehr sollen im Folgenden die Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Schulen und Integrationsfachdiensten für geistig behinderte Menschen – als relativ neue Instrumente zur beruflichen Integration – näher untersucht werden sowie vertieft auf die Einbindung der Eltern in die Beratungsarbeit des Integrationsfachdienstes eingegangen werden.
*Unberücksichtigt bleiben hier: BBE-Lehrgang, tip-Lehrgang, Grundausbildungslehrgang, Berufsfindungsmaßnahmen und Arbeitserprobungen.
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