Suche nach Nachwuchs verlagert sich zur Suche der besten Sucher – Problem bleibt bestehen
„Und wieder ein neues Portal welches verspricht, schneller willige, leistungsfähige und super Jugendliche für eine Ausbildung zu finden. Und noch eins, welches auch die perfekte Fachkraft punktgenau, passgenau und zeitnah im Betrieb landen lässt“ so höre ich öfter bei Gesprächen mit Betriebsinhabern. „Die kochen auch alle nur mit Wasser“ und „das klappte da auch nicht wie ich es mir vorstellte“ sind Sätze, die nur allzu oft folgen. „Scheint offenbar ja kein Problem der Vermittler oder Sucher zu sein, sondern eher der Bewerber – da zeigt sich mal wieder, dass die Anforderungen die man als Betrieb stellt, kaum mehr erfüllt werden können“. So enden dann meist die Gespräche. Was aber klar wurde war, dass wir uns immer mehr mit der Suchstrategie beschäftigen, als mit dem eigentlichen Problem und den Menschen, die im Betrieb benötigt werden. In letzter Zeit steigt die Zahl der externen Nachwuchssucher außerhalb des eigenen Betriebes immer mehr an. Zusätzlich werben die Betriebe auf kostenpflichtigen Plakatwänden in einer Stadt mit Ausbildungsplatzangeboten im Garten und Landschaftsbau oder befestigen gut sichtbare Riesenschilder an der Werkhalle, wie in Wuppertal bei einem Schmalbandweber. Das Schild nimmt fast die gesamte Gebäudehöhe ein, jeder Buchstabe ist über 2 Meter groß. Die Kosten für die Rekrutierung steigen auch mit solchen zusätzlichen Aktionen. Wer sowas macht, dem fehlt wirklich etwas.
Es lässt sich beobachten, dass sehr viele Ihr Heil darin suchen, Vermittler jedweder Art (z.B. Träger beruflicher Bildung, Jobportale) zu beauftragen, die in zahllosen Medien (z.B. Social Media, Annoncen u.a.) den Nachwuchs oder die Fachkraft suchen. Mit Konsequenzen, die auch negative Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung haben können (hier findet sich ein Link zu dem Thema auf diesem Blog). Gerade Social Media verspricht schnellen Erfolg, denn „da sind ja heute alle Jugendliche“ – so die einhellige Meinung. Dennoch – auch wenn Social Media Aktivitäten schnelleren und effizienteren Erfolg versprechen, so lösen sie nicht das Kernproblem, wie z.B. die geringer werdende Zahl der Jugendlichen oder die gestiegenen Anforderungen der Arbeit im Verhältnis zu den vermeintlich schlechteren Leistungen der Jugendlichen. Ob sich durch Social Media eine Erhöhung der Motivation zur Aufnahme bestimmter Berufe erreichen lässt, spielt nur eine nachgeordnete Rolle, da es sich dabei um eine andere „Verteilung“ des Nachwuchses oder der Fachkräfte auf die Arbeitswelt handelt. Auch die beste Suchstrategie führt nicht zu mehr Funden sondern nur zu einer Umverteilung.
Je enger es für die Betriebe bei der Suche wird, umso mehr konzentrieren sich die an Bewerbungsprozessen beteiligten Akteure auf Potentiale, die im „Normalfall“ nicht oder nur wenig angesprochen wurden. Es ließ sich in den letzten Jahren beobachten, dass je nach Bedarfslage die Förderschulen näher in den Fokus der Nachwuchsgewinnung rückten. Auch die Hauptschüler wurden vermehrt angesprochen (im Jahre 2012 waren in Hagen erstmals mehr Realschüler als Hauptschüler unversorgt). Ebenso gewinnt der Fokus auf Jugendliche mit Migrationshintergrund sowie der auf Mädchen und Technik im Rahmen der Nachwuchsgewinnung weiter an Bedeutung. Bei der Arbeit rücken die Frauen zunehmend stärker in die Akquisebemühungen, wie auch An- und Ungelernte zu mehr Weiterbildung angehalten werden. Es gab und gibt zahlreiche Programme, die Zahl der „Alten“ (50+ gem. Definition der Bundesagentur für Arbeit) am Arbeitsplatz zu erhöhen bzw. sich Gesundheitsfragen zu widmen, die einen längeren Verbleib im Erwerbsleben ermöglichen. Auch das Potential behinderter Menschen wird als Reaktion auf den größeren Mangel an Nachwuchs und Facharbeit stärker beworben. Zuletzt ist auch die Debatte um Zuwanderung davon geprägt und das Feld der „Flüchtlinge“ als Arbeitspotential gewinnt an Bedeutung. Bei einer Veranstaltung zum Thema fiel der Satz „Die Ecken auszufegen um zu mehr Leuten zu kommen, ist nur auf den ersten Blick eine Lösung“. Beim ersten Hinhören eine ziemlich provokante Wortwahl, allerdings mit hoher Symbolkraft bezogen auf das im letzten Abschnitt beschriebene. Das Problem ist damit nicht zu lösen, wenngleich zu hoffen ist, dass die Bemühungen um diese Menschen weiter zunehmen werden. Es ist richtig, dies zu tun, wenngleich es ein wenig traurig ist, dass nur die angespannte Bedarfslage zu diesen Aktivitäten führt. Bei einem der letzten Besuche einer Job Messe in der Wuppertaler Stadthalle war es sehr spannend zu beobachten, wie sich Unternehmen bei potentiellen Arbeitnehmern bewerben. Ungelernten, Zeitarbeitern und auch Leuten, die kleidungstechnisch früher gerne Abweisung erfuhren, wurde ein Sitzplatz angeboten. Sie wurden eingeladen und vor allem ernst genommen. Teilweise verhalten sich die Betriebe aber nicht mehr authentisch und die Bewerbung wird zur Anbiederung. Wie bei allem ist auch hier die richtige Dosis ausschlaggebend, damit das Gewünschte nicht in Ablehnung umschlägt.
Es wird ein hoher Aufwand ohne Problemveränderung getrieben. Eine Möglichkeit kann aber sein, seine betrieblichen Prozesse strukturell mehr an weniger und „andere“ Menschen im Erwerbsleben anzupassen. So kann z.B. ein Arbeitsplatz behindertengerecht ausgebaut oder, als Reaktion auf verminderte schulische Leistung von Jugendlichen, strukturiert Weiterbildung im Arbeitsprozess angeboten werden. Es ist durchaus vorstellbar, an der einen oder anderen Stelle auf eine höhere spezialisierte Kompetenzorientierung zu setzen. Also z.B. Stellenausschreibungen nicht mehr nach Berufen oder Arbeitsfeldern zu beschreiben, sondern über Kompetenzfelder. Da in den nächsten 18 Jahren keine relevante Änderung der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personenzahl zu erwarten ist, müssen wir auch sicherlich über mehr Automatisierung in den Fertigungsprozessen nachdenken. Dies geschieht ja kontinuierlich, jedoch mehr aus Gründen der Effizienz und Kostenreduzierung. Allerdings kann das dazu führen, dass die Menschen, die jetzt schon der technischen Komplexität der Arbeitswelt nicht mehr folgen können – (die Anforderungen nicht mehr erfüllen können), vermehrt ausgegrenzt werden. Um das zu verhindern müssen sich die Schulen- und Berufsschulen wie auch unser duales Berufsbildungssystem im gesamten an diesen Veränderungsprozessen aktiv beteiligen, um sich auf die sich ändernden strukturellen und technischen Prozesse einzustellen.
Ein weiterer Schritt ist möglicherweise eine erste Reduzierung der Komplexität der zu lernenden Inhalte. Da möge mancher rufen, dass das ja genau das Gegenteil der Bewältigung des Problems bedeutet. Und bezogen auf das Berufsbildungssystem wird eine Aushöhlung stattfinden. Das ist möglich, aber die Reduzierung der Komplexität von Lerninhalten bei der Entwicklung von Kompetenzen für komplexe Prozesse, bei gleichzeitiger Beibehaltung der Ganzheitlichkeit, kann zu besserem Absolvieren der einzelnen Aufgabe durch die mitwirkende Person führen. Über anschließende, kontinuierliche und strukturelle Weiterbildung in betrieblichen Arbeitsprozessen (zum Beispiel über Instructional Design Modelle) lässt sich die Komplexität der Aufgabenstellungen erhöhen und die Kompetenzen weiter entwickeln. Gleichzeitig kann so das lebenslange Lernen forciert und gestärkt werden.
Die genannten Möglichkeiten und Beispiele werden an der einen oder anderen Stelle bereits versucht und umgesetzt. Das Berufsprinzip in Deutschland ist ein solidarisches Prinzip. Wenn wir daran festhalten wollen, so kann es für die Unternehmen ein besonderer Gewinn sein, sich hier aktiv in die Veränderungsprozesse einzubringen. Unternehmen, die sich in Netzwerken, Vereinen oder Initiativen zum Thema organisieren, haben einen höheren Gewinn als diejenigen, die alleine versuchen, ausschließlich ihr Problem zu lösen. Die Bildung und Ausbildung der eigenen Belegschaft ist nach wie vor die günstigste Form der Rekrutierung.
©2015 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.
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