Die komplexe Einfachheit der Menschen in der geraden Kurve – „Digitalisierung“
Dieser Beitrag wurde aktualisiert und an einer Stelle auch korrigiert. Die Änderungen sind blau markiert. Vielen Dank für die Anmerkungen von Dr. rer. nat. Carmen Poszich-Buscher – Neurobiologin und Mediatorin.
Bei der Suche nach Lösungen für die Probleme, die wir als Menschen zu lösen haben, scheinen wir alle zu vergessen, dass es eine Konstante gibt. Es gibt etwas unverrückbares – niemals zu veränderndes. Der psychische Mensch kann sich anpassen und verändern – auf neue Bedingungen einstellen. Der physische Mensch kann das nicht. (Anm.: Der physische und psychische Mensch hat eine Bandbreite, in der er sich verändern kann. Der psychische und physische Mensch (Leib und Seele) sind direkt miteinander verbunden und haben direkte Auswirkungen auf den Menschen als Ganzem). Niemals wird uns ein dritter Arm wachsen, ein weiteres Auge oder ein neues, modernes Gehirn (Anm.: Ein menschliches Gehirn besteht aus einigen hundert Milliarden Neuronen. Diese zu simulieren übersteigt die Fähigkeiten der schnellsten Computer. Stand der Computer: Leistungsfähigkeit eines Reptiliengehirns. Unser Gehirn lernt, wenn das Wissen in klarer Struktur, in kleinen Einheiten, ohne Stress und an den aktuellen Bedürfnissen des Menschen orientiert, vermittelt wird). Hierin liegt unsere Begrenzung. Warum vergessen wir das? Sei es, wenn wir über Arbeit sprechen oder über unser allgemeines Leben? Wenn wir über Krankheit, Regeln oder Pflege sprechen. Ich habe den Eindruck, wir vergessen unsere physische Begrenztheit.
Woran kann das liegen? Wenn ein Mensch keine Arme hat, dann nehmen wir über unsere Sinne wahr, dass dieser ohne Hilfsmittel keine reguläre Schreibmaschine bedienen kann. Wir können aus dieser Wahrnehmung einen Schluss ziehen. Anders ist es bei psychischen Effekten. Überfordern wir unser Gehirn durch komplexe Zusammenhänge, können wir die Grenzen der Psyche nicht direkt wahrnehmen. Nur über eine abstrakte Verarbeitung im Gehirn können wir Schlüsse ableiten. Eine direkte Wahrnehmung psychischer Überforderung ist physisch erst mit einer Zeitverzögerung zu erkennen (Anm.: Psychosomatik / dies gilt genauso umgekehrt. Physische Überforderung kann sich seelisch zeigen / z.B. Erschöpfungsdepression). Und offensichtlich betrifft das immer mehr Menschen, was eben darauf hinweisen kann, dass diese Grenzen tatsächlich erreicht werden.
„Wir Menschen sind so komplex einfach, arbeiten mit naher Distanz um sehenden Auges analog und blind in eine digitale, gerade Kurve zu fahren“. Den Satz kann man erstmal sacken lassen.
Wir wissen das alles. Warum vergessen wir das, wenn wir Lösungen suchen? Ich bin der Meinung, weil wir nur Lösungen aus direkt wahrnehmbaren Effekten heraus entwickeln. Und die Psyche nicht als physische Begrenztheit anerkennen. Das kann zu Unverständnis, zu Zuweisung von Inkompetenz und Unfähigkeit sowie zu überfordernden Forderungen an Menschen führen. Ebenso erheben wir Menschen uns in den Stand einer sich immer weiter entwickelnden Maschine. Psychisch kann man das so sehen, physisch nicht. Kurzum: auch das Gehirn ist physisch begrenzt – man kann das nur nicht sehen.
Im Kontext der Digitalisierung bildet sich folgende Kette: Digitalisierung > zunehmende Komplexität > Anforderung an die Psyche > Anforderung an die Physis. Maßgeblich für die Haltbarkeit einer Kette ist das schwächste Glied. Das kann bedeuten, dass wir der Digitalisierung mit einer Kompetenz des „Umgangs mit Komplexität“ begegnen und im Weiteren bei der Nutzbarmachung noch kleinteiliger spezialisieren. So ließe sich auch ein Berufsbildungssystem strukturieren. Eine Kernkompetenz mit anschließender, weiterer Spezialisierung.
Wieso der Beitrag?
Qualitativ hat der Beitrag den Effekt, der auftritt, wenn wir die gravierenden Veränderungen durch die Digitalisierung in kleinen und mittleren Betrieben erläutern und darstellen. Ich will damit sagen, dass der gesamte Inhalt belegbar, erklärbar ist und inhaltlich richtig – aber kaum erfassbar ist. Wir können die Worte lesen, aber die Bezüge nicht einfach herstellen.
Bei der schieren Unzahl an Veranstaltungen zu Themen der Digitalisierung entsteht oft dieser Effekt. Es ist kein „Nicht Verstehen“, sondern es kann vielmehr nicht mehr im Kopf zugeordnet werden. Wir stoßen an unsere Grenzen und können nur durch immer mehr Kleinteiligkeit dem entgegenwirken. Dies wiederum kann bei einigen zu Überforderung und bei anderen zu Unterforderung führen – mit den entsprechenden Folgen wie Depression, Burnout, Demotivation, Resignation u.s.w..
Ausschlaggebend für den Beitrag war die Frage eines Sozialträgers in der Region an mich, wie man Benachteiligte und abgehängte Jugendliche und Erwachsene in die Digitalisierungsdebatte einbeziehen kann – denn – Förderung gibt es nur noch, wenn Digitalisierungsaspekte mit im Fokus stehen. Was also tun. Und die Antwort ist: Komplexität reduzieren. Das Wie ist eine andere Frage. Deswegen der Beitrag (Anm.: Die Schlussfolgerung ist richtig, die Ursache jedoch biologisch nicht. Das Gehirn hat Kapazitäten, die wir nicht bzw. bislang nicht ergründen können. Lerntechnisch ist es aber richtig: Komplexität reduzieren und Verknüpfung zum Alltag bilden => an Anforderungen des Alltags und Begeisterung wecken).
Wir, die Lösungen für uns als Gesellschaft entwickeln – egal ob der Einzelne oder Institutionen – dürfen nicht vergessen, dass wir als Mensch in unserer Hardware begrenzt sind. Populär gesagt: Mensch 1.0 Industrie 4.0 (Anm.: Menschen sind eher 10.0). Zum Thema: Wenngleich die BA auch manchmal kritisch zu betrachten ist in dem was sie macht (was an ihrer Zielsetzung liegt), sind ihre Analysen aber sehr gut. Die Schlüsse auch. Das folgende Papier wird als intern gekennzeichnet, ist aber öffentlich verfügbar. Hier von 2015. Nebenbei wissen wir damit ja auch ein wenig, wo die Reise bei der BA in Verbindung mit ihren Möglichkeiten hingehen wird.
Arbeit 4.0 Statement der Bundesagentur für Arbeit
Regional NRW
Das Weißbuch des Arbeitsministeriums zu dem Thema vom März 2017
(Es gilt die Lerntheorie zu nutzen. Hier spielt der Aspekt der geringen Empathie von IT-Spezialisten eine bedeutende Rolle=> Fluss der Info von Maschine- IT-Mensch- Mensch mit weniger digitalem Wissen=> hier ist die Lücke im System: die Sprachlosigkeit zwischen IT-Spezialisten und Nicht-IT-Spezialisten ) Unser Gehirn kann noch viel mehr als 4.0. Weitere Recherche lässt sich bei Brain-Forschung Jülich betreiben)
©2018 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.
Handelt es sich nicht eher insgesamt um methodische Probleme?
Unser Gehirn zeigt uns jeden Tag, dass man mit Wissens-Lücken gut auskommen kann. Der Umgang mit Komplexität ist eine Herausforderung, welche der Organismus bereits seit Urzeiten gelöst hat. Die Impulse welche wir durch unsere Sinneswahrnehmungen verarbeiten sind unvergleichlich komplex. Die Natur löst das durch Mustererkennung, das Filtern und Priorisieren mit Hilfe biochemischer Prozesse. Wir nehmen die Umwelt nicht vollständig sondern lückenhaft wahr und fahren trotzdem Auto.
Aus meiner Sicht geht es darum Belastung und Entlastung genauer zu betrachten!
KI hilft dabei, ist aber mit Vorsicht zu genießen. Vom Grundsatz bin ich aber dabei, dass komplexe Anforderungen eine besondere Herangehensweise verlangt: Mustererkennung, das Filtern und Priorisieren, mit all den Chancen und insbesondere der Risiken. An welcher Stelle steht da derzeit die Digitalisierung, oft beim Sammeln der Impulse?
Vielen Dank für Ihren sehr richtigen Kommentar. Ich stimme dem zu, wenngleich eben die Mustererkennung selbst an Grenzen kommt – nämlich dort, wo sich bis dato keine Muster bilden konnten. Auch die lückenhafte Wahrnehmung ist Teil der Sache und ja, wir können damit Autofahren & Co. – eben aber auch mit eingebauten Toleranzen in der Technik. Das Gehirn selbst füllt die Lücken, wobei jetzt aber eben in einer Art und Weise, die mit den menschengemachten Anforderung wenig kompatibel sind. Genau dies kann eben beispielsweise psychische Krankheiten fördern.