Hier kommt keine Qualität an – dabei sind wir ein durch die Kammer ausgezeichneter Betrieb für hervorragende Ausbildung – Ein Dilemma
Eigentlich ist im Moment etwas Pause auf dem Blog, weil ich mich um meine anderen Themen kümmere. Aber gestern hatte ich ein Gespräch mit einem Autohaus, welches das Dilemma der Nachwuchsgewinnung anschaulich macht. Ein Dilemma ist etwas, was beispielsweise zwei Optionen für eine Entscheidung liefert, die aber beide zu einem unerwünschten Ergebnis führen. Ein Dilemma wird oftmals als paradox empfunden, einfach weil keine Auswege erkennbar sind.
Ich bin im Auto unterwegs zum Mittagessen und das Handy klingelt. An der Leitung eine Dame von einem Autohaus. Es handelt sich um ein klassisches Autohaus mit mehreren Standorten – ein kleiner Betrieb. Klassisch und Familiengeführt. Das Anliegen der Dame bezog sich auf die Berufsbildungsmessen, von denen sie gehört hat. Das wäre eine Veranstaltung, wo die ganzen Schüler durchgekarrt werden und auf solche Konzepte steht sie eigentlich gar nicht. „Das ist ja unfassbar, wie die Jugendlichen gepampert werden.“. Ich habe erläutert, dass der organisierte Busverkehr für diejenigen ist, die mit der ganzen Schulklasse die Messe besuchen möchten, aber unsererseits ist hier keine Pflicht an einer Teilnahme ausgerufen. Sollte es das geben, dann sind das ja die Schulen. Ich erläuterte, dass zum Mittag und Nachmittag Jugendliche auch mit Eltern oder Großeltern die Messen besuchen. Im Weiteren ist das ja auch in Ordnung, wenn das Autohaus nicht teilnehmen möchte.
Die Mitarbeiterin des Autohauses, die den gleichen Namen trägt wie das Autohaus selbst, erklärte ihre Lage. „Wir sind ein gutes Autohaus und eigentlich haben wir keinen Bedarf daran, an den Messen teilzunehmen. Wir erhalten hunderte von Bewerbungen! Wir finden aber niemanden. Die Qualität stimmt nicht. „. Ich musste dann nochmal nachfragen ob ich es richtig verstanden habe. „Sie haben hunderte Bewerbungen und finden niemanden? Also an den Messen können Sie gerne teilnehmen und bei Ihrer Größe wären das auch nur 300 Euro für den ganzen Messetag als Aussteller.“. Die Antwort machte mich etwas sprachlos:
“ – wie gesagt, wir haben hunderte Bewerbungen. Wir sollen Geld bezahlen? Da müssen wir erstmal schauen. Wie kann das denn sein? Von den anderen kommt doch nichts. Im Übrigen – wir sind mehrfach von der Handwerkskammer für die hervorragende Ausbildung ausgezeichnet worden. Wir sind geehrt worden dafür und was mehr kann man denn anbieten als so etwas? Sie sind doch sicher der gleichen Meinung. Machen Sie sich mal Gedanken, nehmen mich in den Verteiler auf und senden mir die Informationen.“.
Ich versprach, die Infos zu senden und erläuterte nur noch kurz, dass es verschiedene Perspektiven auf das Thema gibt.
Die Gedanken der Autohausinhaberin und was sie sagte sind nicht neu. Ich ich höre das sehr oft. Das Gefühl, was sich bei mir einstellte war, dass nur eine (Die des Autohauses) Perspektive richtig ist, dass sich hier eine Organisation befindet, in welcher die Menschen zwar wahrnehmen das irgendwas anders ist als früher, aber es kein Erfassen oder ein Verständnis dafür gibt, dass sich die Umwelt und die Gesellschaft mit ihren Bedarfen und Bedürfnissen verändert – die Welt sich also weiter dreht. Das hat erstmal nichts mit einer Bewertung zu tun und es geht auch nicht darum, ob das gut oder schlecht ist. Es geht um die Ignoranz von umfangreicher Veränderung.
Als Legitimation, über die „Qualität der Menschen“ zu urteilen und Auszeichnungen von Kammern dafür mit einzubeziehen, ist aus meiner Perspektive nicht nur aus der Zeit gefallen, sondern auch abwertend. Mir wurde deutlich erläutert, dass die ganzen Jugendlichen gepampert werden und daher die Firmen die Probleme haben. Der Nachwuchs hat zu machen, was wir vorgeben. Nur das ist richtig. Es ist wichtig zu erkennen, dass man so arbeiten muss, sonst kommt man zu nichts – dass müssen die [Jugendlichen] doch verstehen, so empfinde ich die Botschaft hinter der Nachricht. Davon, dass wir als Gesellschaft stehen wo wir stehen und wir daran Anteil haben, steht überhaupt nicht zur Debatte. Meine Welt ist auch deine Welt – das ist schlichtweg falsch.
Das Dilemma
Erstens: Die Auszeichnungen der Kammer beziehen sich auf ein strauchelndes Berufsbildungssystem. Sie zertifizieren eine „Richtigkeit“ in dem System und dadurch begründet sich die Notwendigkeit. Es ist eine asynchrone Auszeichnung, die nichts mit den Beziehungen zu tun hat oder wie sich wer fühlt. Es ist eine „technische“ Botschaft – man macht etwas besonders richtig nach den gegebenen Regularien. So wie in der Schule die Noten. Die Noten bewerten, in wie weit man das System bedient hat. Das hat nichts mit den Menschen zu tun, die sich immer weiter entwickeln, während sich die Berufsbildung zum Beispiel nicht weiter entwickelt. Die Bildung und Berufsbildung bedient nach wie vor ein Schichtensystem. Die Bildung und Berufsbildung möchte in erster Linie Arbeitssoldaten haben – so kann man es auch formulieren, wenngleich sich das nicht sehr wertschätzend anhört. Genauso wenig wertschätzend, wie herablassend über die Qualität der Jugendlichen zu sprechen.
Was ist nun das Dilemma für den Betrieb? Die Botschaft des Gesprächs lautete „Dann kann ich entweder den Laden schließen“ oder „Dann muss ich die Schlechten nehmen“. Ich rege an, Jugendliche zu finden, mit denen man gemeinsam eine Zukunft gestalten kann. Das ist nicht einfach und erfordert von allen Vertrauen und eine gewisse Grundhaltung Menschen und einer gemeinsamen Zukunft gegenüber. Und das sage ich mit 57 Jahren, ich sage es als Industrieschlosser, als Handwerksmeister im Maschinenbau, als studierter Bildungswissenschaftler und als Master in Mediation.
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