Lehren und Vermitteln durch Verstehen und Sinngebung

Lehren und Vermitteln durch Verstehen und Sinngebung<br><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/praxis_120.png"/><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/theorie_120.png"/>

Vorweg – was sich hier simpel anhört, ist wohl mit die schwerste Aufgabe für Lehrende oder Ausbilder. Aber sie ist von zentraler Bedeutung für unsere Vermittlungsaufgabe. Wir kennen die meisten Lernzusammenhänge und auch wie Menschen lernen. Es geht dabei nicht nur um das Vermitteln von Wissen – Lernen ist mehr. Im Rahmen dieses Beitrags nutzen wir zur Vereinfachung nur das Wort „Lernen“. Da gibt es verschiedene Lerntheorien, die sich teilweise auf verschiedene Entwicklungsstadien bei Menschen beziehen. So beschäftigten sich zum Beispiel Pawlow, Watson und Skinner mit dem Konditionieren, Bandura mit dem Lernen am Modell, Köhler mit dem Kognitivismus – hier das Lernen durch Einsicht – oder Tolman, der sich mit dem latenten Lernen auseinandersetzte. Wer mehr über die Lernpsychologischen Zusammenhänge wissen möchte, kann hier fündig werden. Bei alledem geht es darum, auf welchen Wegen Menschen lernen können.

Zusätzlich finden wir viele Hinweise dazu, auf welchen Übertragungswegen wir am besten Lernen. Die Angaben unterscheiden sich etwas, aber im Schnitt behält man (bei den Aufnahmekanälen) beim Lesen 10%, beim Hören 20%, beim Sehen 30% und bei Interaktionskanälen, wie beim Selbsterklären 70% oder mit dem eigenen „Tun“ oder „Fühlen“ um 90%. Gerade hier wird auch der Körper (zum Beispiel Muskeln) beansprucht und dementsprechend mehr Kanäle genutzt. Durch verschiedene Kombinationen lässt sich das steigern oder auch vermindern. Der Hintergrund liegt darin, in wie weit Sinne genutzt und eingesetzt werden und wie das Gehirn darauf in der Lage ist, die entsprechenden Muster zu bilden.

Mustererkennung ist die Fähigkeit, in einer Menge von Daten, Regelmäßigkeiten, Wiederholungen, Ähnlichkeiten oder Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Das gilt für die Wahrnehmung beim Menschen (Kognitionswissenschaft) und für Maschinen (Informatik). So gehen zum Beispiel Schablonentheorien davon aus, dass wahrgenommene Objekte mit bereits im Langzeitgedächtnis abgelegten Objekten verglichen werden. Merkmalstheorien basieren auf der Annahme, dass wahrgenommene Objekte analysiert und anhand ihrer „Bauelemente“ identifiziert werden. Wer hierzu mehr wissen möchte kann sich einen ersten Eindruck bei Wikipedia machen.

Der Mustererkennung geht eine direkte Sinneswahrnehmung voraus.
Dabei haben die klassischen Sinne eine Gemeinsamkeit: Sie werden durch das Gehirn direkt als WAHR interpretiert. Der Zustand UNWAHR (Verneinung) ist Folge einer sekundären Verarbeitung der primären Sinneswahrnehmung durch das Gehirn. Musterbildung im Gehirn ist Lernen, Mustererkennung ist der Abruf von gelerntem. Mit der hohen Leistungsfähigkeit unseres Gehirns können wir innerhalb 100 Millisekunden ein Objekt, einen bekannten Menschen oder andere Muster erkennen und zuordnen. Aus alledem resultiert ein Verstehen. Dabei ist Verstehen die Konstruktion einer Wirklichkeit.

„Die Realität kann durch Beobachtung und Kommunikation verändert werden und zu einer Konstruktion oder einer Erweiterung einer Wirklichkeit beitragen. Dabei muss ein Kontext einbezogen sein, der dann über die Realität des Einzelnen entscheidet. So kann sich eine Erklärung und dadurch ein Sinn für einen Menschen ergeben (Verständnis). Wer versteht, kann in seiner Wirklichkeit die  Dinge akzeptieren oder auch ablehnen.“ So sage ich es gerne auf Vorträgen, denn hier findet sich eine mögliche Erläuterung, warum das „Tun“ oder „Fühlen“ so einen großen Anteil am Lernerfolg hat.

Die Aufnahmekanäle beim Menschen:
Menschen nehmen Informationen verschiedentlich auf. So ungefähr 25 Prozent bewusst (Explizit) und 75 Prozent unbewusst (Implizit). Bei dem Impliziten findet sich eine beachtliche Leistung der Mustererkennung im Gehirn. Eindrücke stürmen unentwegt auf den Menschen ein und das dynamische Netzwerk verbundener Zellen im Gehirn filtert nur das (Überlebens)notwendige. Es sammelt und analysiert dabei bis zu 11 Millionen Sinnesreize pro Sekunde und entscheidet, welche davon relevant sind. Maximal 40 Sinnesreize werden näher analysiert, um Reaktionen zu veranlassen. Erinnerungen werden in einen größeren Kontext gesetzt und für Entscheidungen in der Gegenwart und Zukunft genutzt (Musterbildung). Maßgeblich ist hier die Fähigkeit des Gehirns, Stärke und Anzahl der Verbindungen zwischen Nervenzellen zu ändern (Plastizität).

Auf der Expliziten Seite sieht die Leistung schon etwas anders aus. Hier können nur 6 Informationen (strukturiert) auf einmal aufgenommen werden. Wer sich an die Show von Rudi Carell – Am laufenden Band erinnert, der weiß noch wie viele Produkte maximal mit nach Hause genommen wurden. Das Problem ist, dass unklare Strukturen, Zeitdruck und mangelnde Erfolgserlebnisse bei Menschen Stress erzeugen, der hinderlich für die Musterbildung ist. Wir können in dem Geschriebenen schon Ansätze erkennen, was Lernen fördert – oder auch was uns am Lernen hindern kann.

Wir können mit diesen Gedanken möglicherweise auch einem Kernproblem von Digitalisierung und Komplexität begegnen, denn: Die Differenz zwischen dem technologisch möglichen und den menschlichen (Verstehens)Grenzen wächst. Die Menge der Daten und Informationen ist so groß, dass Menschen diese explizit nicht mehr erfassen und am Ende nicht mehr verstehen können. Das Nichtverstehen kann dann für Ängste sorgen, wenn eine Wichtigkeit in das Verstehen interpretiert wird (zum Beispiel weil ein Arbeitgeber etwas verlangt). Wir entwickeln nun Technologien, um die komplexen Zusammenhänge verständlich und in Folge handhabbar zu machen (bei KI Dateninterpretation) und koppeln uns damit von den Zusammenhängen ab. Wir verlieren die Kontrolle über das Geschehen, denn der technologische Zwischenhändler gibt uns aus oben genannten Gründen nur die Informationen, welche uns zu einer Erklärung nötig erscheinen.

Von der Hand in den Kopf
Wenn wir in der Schnittmenge zwischen Theorie und Praxis arbeiten, fassen wir Erkenntnis in Beispiele, die vorstellbare und konkrete Handlungen zulassen. Hierdurch wird das Wissen anwendbar. Dabei ist es wichtig, von der Hand in den Kopf zu vermitteln. Auf diesem Weg sprechen wir genau die Aufnahmekanäle des Menschen besonders an, die größtes Potential zum Lernen bieten. Allen voran das schon mehrfach genannte „Tun“ welches das Fühlen und Einfühlen aktiviert und sensibilisiert. Das Leben und Erleben von Themen führt über Handlungen zum Lernerfolg. Die Übungen werden vornehmlich an realen und mit nahen Kontexten versehenen Inhalten ausgerichtet. Dies führt zu größt möglichen Lernerfolg und zur Ausbildung von Kompetenz – knapp gesagt der Fähigkeit, Wissen zu transferieren und in Handlungen umzusetzen. Damit erreichen wir die bestmöglichen Potentiale für die Umsetzung des Gelernten.

Wie eingangs geschrieben, ist das eine sehr schwere Aufgabe. Denn natürlich sind wir alle in unseren Rahmenbedingungen gefangen. Wenn das Ziel beispielsweise das Bestehen einer Prüfung in unserem Bildungssystem ist, dann können wir daran nichts ändern und müssen damit leben, dass wir an manchen Stellen keinen Sinn erkennen können – aber die Bedienung des Systems am Ende über den Erfolg entscheidet – allerdings nicht über einen Lernerfolg. Wenn wir jedoch darum wissen, können wir schon an ein paar Schrauben drehen. Im Netz finden sich zahllose Methoden, die es uns einfacher machen können und die das Wissen um das Lernen bereits berücksichtigen. Es kostet allerdings ein wenig Mühe, das für seine Bereiche aufzuarbeiten. Aber nun – wer selbst nicht von etwas begeistert ist oder keinen Sinn in etwas sieht, darf nicht erwarten, dass dies jemand anderes tut.

Blicken wir zum Schluss noch einmal auf das Beitragsbild mit der Uhr. Schaffen wir den Rahmen, in der Sinnbildung erfolgen kann, dürften wir Erfolg beim Lernen haben. Dabei gilt es zu beachten, dass der eigene oder ein vorgegebener Sinn möglicherweise nicht der Sinn der Lernenden ist. Daher sollten wir die eigenen Wirklichkeiten der Menschen akzeptieren und respektieren, dann wird sich wahrscheinlich auch der gewünschte Sinn im gewünschten Kontext ergeben. So zeigt es unter anderem auch die Lehre der Mediation, der genau das oben beschriebene Wesen zugrunde liegt. Mediation selbst ist ein Lernprozess und ja: Berufsorientierung unterliegt ebenfalls den Beschreibungen in diesem Beitrag.

Denn 🙂 – Emotional MUSS, rational KANN – so weist es diese Formel aus.

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Quellen: Joachim Bauer – Psychoneuroimmunologe im Film von Kurt Langbein – Wie wirklich ist die Wirklichkeit | Paul Watzlawick, Wie wirklich ist die Wirklichkeit | Wie neues entsteht – Evolotion oder Emergenz, Harald Lesch – Astroseminar 2018 – DLR Köln | Blick ins Gehirn – Wie Emotionen entstehen, Vaitl Dieter | Nieuwland MS and Kuperberg – When the truth is not too hard to handle: an event-related potential study on the pragmatics of negation. | Mariana Calábria Lopes – Wirksamkeit von impliziten und expliziten Lernprozessen. | Mittelstand Digital – Magazin Band 11 – Gilfert, Poszich-Buscher.

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©2020 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.

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